von Norbert Sommerfeldt und Helmut Koch
Jeder der mal gerudert hat, weiß, dass zurück zu rudern kein Problem ist. Aber wenn bei einer Wettfahrt einem Rudernden bei vollem Tempo ein Fehler unterläuft und das Blatt des Ruders im Wasser hängen bleibt, nennt man einen Krebs fangen. Glück wenn es den Ruderer nicht aus dem Boot hievt. Auf jeden Fall verliert das Boot die Richtung und die Geschwindigkeit. Die Regatta ist sicher verloren.
In der Politik bedeutet „zurückrudern“ eine öffentlich gemachte Äußerung zu relativieren, zu beschönigen. Aber wer in einer Wettfahrt versucht zurückzurudern, fängt einen Krebs. Krebsfänger gibt es in der Politik reichlich. Das wird dann „zurückrudern“ genannt. Mangelnde Selbsterkenntnis?
Die Parteien haben den grundgesetzlichen Auftrag an der Willensbildung mitzuwirken. Dieser Auftrag wird seit Jahren kaum noch erfüllt. Stattdessen wird eine auf Umfragen basierte Wähleranbiederung betrieben. Eine politische Schleimspur führt, von den Umfrageinstituten über die Parteizentralen direkt in die Öffentlichkeit. Und von da wieder zurück zu denen, die mit Umfragen Geld verdienen.
Gibt es beispielsweise emotionale Bilder (totes Kind) in den Medien über das Flüchtlingselend, werden Flüchtlinge aufgenommen, ohne die entsprechenden Bedingungen geschaffen zu haben. „Wir schaffen das…“. Laufen die Kommunen über mit Flüchtlingen, gibt es Attentate an denen Flüchtlinge beteiligt sind, fordern Parteien sofort: Abschieben, nicht reinlassen, Ausweisen..
Verantwortung für das was Gestern noch selbst gemacht wurde? Fehlanzeige. ‚Ungeduld des Herzens‘, hat Stefan Zweig diese Einstellung genannt.
Ist die Atomkraft „unverzichtbar“, wird der beschlossene Atomausstieg gekippt (zurückgerudert?). Gibt es einen GAU in Fukushima und die öffentlich Meinung (in Umfragen) kehrt sich um, prompt: AKW stilllegen (vorwärts zurückrudern?). Die Milliarden für den Kehrtschwenk tragen die Steuerzahler.
Es gab zu keiner Zeit eine Vernunft bestimmte, sachliche Aufklärung durch die Parteien, geschweige denn, eine sachgerechte, gar geduldige Politik. Das gibt es auch nicht, wenn permanent Wahlkampf ist.
Das ist das wirkliche Ergebnis von Umfragen und Politbarometern. Ein monatliches Scherbengericht, das ordentliche Politik verhindert und zur Polit-Prostitution verführt.
Kommen bestimmte Themen nicht in den Umfragen vor, dann ändert sich dort nichts. Beispielweise verunglücken 27.000 Kinder jährlich im Straßenverkehr. Kein Thema in Umfragen.
Dringend notwendige Strukturänderungen brauchen viel Zeit und Geld, sind nicht populär, und mächtige Interessengruppen (die ihrerseits Meinungsumfragen bezahlen) stehen dagegen. Also finden sie nicht statt.
Erscheint nun ein medienwirksames (Attentats-) Opfer und die Umfragen bemächtigen sich dessen, dann wird sofort ein medialer Wahlkampf angefacht, auch mit dem Missbrauch der Opfer und gegen den Willen der Angehörigen.
Dabei fällt es diesen Parteien leicht, ihre Grundwerte als Ballast anzusehen. Da kommen die Parteien „ins Rudern“. Was läuft da aus dem Ruder? Wo ist die Richtung, was ist der Kurs? Treibende Korken auf der mittlerweile braunen Politbrühe. Europäischer Konsens? Egal! Brandmauer? Lachhaft! „Steuermann halt die Wacht“, denn der Lotse Ethik istschon lange von Bord gegangen.
So werden aus ehemals (vielleicht) christlich orientierten Politikern, bestenfalls Krebsfänger im demokratischen Boot. Wer funkt SOS? Wer kann da noch einen Rettungsring werfen?
*dwds: Zurückrudern „…wieder an den, in Richtung auf den Ausgangsort, -punkt rudern;„